Franks Fragen
Von Jürgen Jacobs
Der in Köln geborene Autor Ulrich Woelk hat seit 1990 eine
Reihe von Romanen veröffentlicht, mit denen er rasch ein
beachtliches Renommee begründet hat. Gleich mit seinem ersten
Buch gewann er den "Aspekte"-Literaturpreis. Der Grund für
seinen Erfolg lag in der Sensibilität, mit der er jene
seelischen Befindlichkeiten und Konflikte schilderte, die das
Lebensklima in der mittleren Generation unserer Zeitgenossen
bestimmen. Das galt besonders für den 2001 erschienenen Roman
"Liebespaare", den viele für Woelks bislang bestes
Buch halten.
Der neue Roman mit dem Titel "Die Einsamkeit des Astronomen" präsentiert
als Protagonisten den Mittvierziger Frank Zweig,
der wie der Autor Woelk selbst gelernter Astrophysiker ist. An dieser
Figur demonstriert der Roman das Gefühl einer fortschreitenden
existenziellen Verunsicherung. Obwohl er schon im mittleren Alter
steht und mancherlei Erfahrungen hinter sich gebracht hat, sucht er
noch nach sich selbst und seinem Platz in der Welt. Mit resigniertem
Ton stellt er fest: "Ich versuche der zu werden, der ich
vernünftigerweise bin, doch die Mittel meiner Rationalität
reichen dazu nicht aus."
Der Tod des Vaters und die Auflösung des elterlichen
Hausstands führen zu einer Konfrontation mit der eigenen
Kindheit. Aber es zeigt sich, dass aus der Herkunft keine
Orientierung für die Gegenwart zu gewinnen ist. Irritiert
gesteht sich der vereinsamende Astrophysiker das Schwinden aller
Gewissheiten ein: "Meine unwiderruflichen Überzeugungen
werden weniger, ein schleichendes Sterben von Standpunkten." Zu
dauernden Bindungen fühlt er sich unfähig. Die Affäre
mit der Meteorologin Ellen führt deshalb nur zu flüchtigen
Momenten des Glücks und zu Schuldgefühlen. Gegen Ende der
Geschichte zieht Frank Zweig das etwas ratlose Resümee, dass
sein Leben nicht weiter geführt hat als bis zu einer "bestimmten
Form von Erlösungsbedürftigkeit."
Die Gefühle der
Einsamkeit werden bestärkt durch die wissenschaftliche
Beschäftigung mit der Astronomie. Denn diese führt ihren
Jüngern stets die Unendlichkeit des Universums vor Augen, in der
die Erde nur als ein winziges verlorenes Staubkorn erscheint. Um sich
über die kosmische Verlassenheit zu trösten, suchen Zweig
und sein Kollege Lozki nach einem erdähnlichen Planeten
außerhalb des Sonnensystems, auf dem sich auch intelligente
Wesen hätten entwickeln können. Gelänge eine solche
Entdeckung, dann wäre die Menschheit nicht mehr der einsame
Sonderfall im Kosmos, sondern etwas "Gewöhnliches". Es
entfiele der Druck, sich als etwas Besonderes begreifen zu müssen,
und auch Zweig selbst würde im Hinblick auf sein eigenes Dasein eine
Erleichterung empfinden: "Ich möchte so
unbedeutend wie möglich sein, weil damit auch meinem Tod an
Bedeutung genommen würde."
Ulrich Woelks Astronom findet offensichtlich
in seiner Wissenschaft keinen Halt und keine Antworten auf seine
Fragen nach dem Sinn des Daseins. Auch seelische Vorgänge
scheinen ihm exakter Erklärung nicht zugänglich zu sein,
sie sind "zu komplex und vielfältig", von zu vielen
Faktoren abhängig.
Woelks neuer Roman führt mit seinem einsamen Astronomen eine
desillusionierte, bei aller Intelligenz ratlose Figur vor. Gleichwohl
bietet er nicht eine melancholisch stimmende Lektüre, denn dafür
ist das Buch zu welthaltig und gedankenreich. Seine Qualitäten
hat der Roman im präzise beobachtenden Erzählen, das
gegenüber den "Liebespaaren" noch an Konzentration
gewonnen hat. Mit der "Einsamkeit des Astronomen" hat Woelk
sich aufs neue als scharfsichtiger Schilderer der zeitgenössischen
Welt und als seiner erzählerischen Mittel sicherer Romancier
erwiesen.